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17
Juni
Sushi; Rasierpusteln
17.6.2001, München
Ich sitze in einer stylischen, aber etwas teuren Münchner Sushi Bar. Doch Geld ist heute abend nicht meine Sorge. Ich lehne mich zurück und beglückwünsche still den Innenarchitekt zu seiner Wahl. Rote Wände, abwechselnd runde und eckige Säulen. Ein einzelner langer Tisch zieht sich von der Bar bis zur Tür, dahinter Stehtische. Plötzlich fühle ich mich leicht underdressed, also gehe ich aufs Klo. Ich atme tief aus, und betrachte mein Spiegelbild. Die Haare stehen in mehrere Richtungen, schwarzer Pulli und Hose, zwei gleiche Socken. Wär schön, wenn da ein Hemdkragen rausschauen würde, oder wenn sich die Kosmetikindustrie endlich was für meine Haare einfallen ließe. Ich würde ein Plastinationsverfahren nach Hagen vorschlagen. Eine Komponente wird flüssig appliziert, dabei werden einzelne Haare oder ganze Büschel in die gewünschte Position gebracht; die zweite Komponente ist gasförmig und fixiert das Ganze betonartig am Kopf. Wenigstens bin ich rasiert. Die Logistik meiner Barttracht gehorcht Sachzwängen irgendwo zwischen Rasierpusteln und Unseriösität, aber der Großteil meines Rübezahl-looks liegt daheim im Waschbecken. Nach einer kontemplativen Weile fühle ich mich besser, und wieder fähig den Raum mit der unterschwelligen Elektronikmusik zu betreten. Ein guter Freund behauptet hartnäckig, daß es in München wegen der ansässigen Film und Fernsehindustrie mehr hübsche Mädchen gibt, als anderswo. Im Augenblick bin ich jedenfalls seiner Meinung. Von wegen underdressed, nach dem Aperitif sehe ich die Welt schon wieder klarer. Jetzt bin ich geneigt zu glauben, ich sei angemessen gekleidet, und die Anderen haben es in ihrer Gefallsucht nur wieder etwas übertrieben. Während wir das Essen erwarten, schaue ich mich träge um. An den Stehtischen lehnen drei Frauen und ein Junge mit blondierten Haaren und alten Turnschuhen. Ich gebe in alten Turnschuhen das Bild eines Studenten beim Sport, doch er schafft es irgendwie bohemien auszusehen. Da die Sushis sich noch bitten lassen, betrachte ich weiterhin die drei Mädchen. Eine trägt ein Nasenpiercing, alle drei trinken wenig und lachen viel. Ab und an sieht der Junge aus, als wundere er sich worüber sie so herzlich lachen. Jetzt zeigt die blondeste der drei ein wirklich hinreißendes Profil. Der Junge hingegen bleibt gelassen, anscheinend hatte er ohnehin nicht geplant, sie nach hause zu begleiten. Nach einer Zeit, die man großzügigerweise noch als Weile bezeichnen könnte, kommt mein Essen auf einem kleinen Holztischchen. Es ist nicht nur dekorativ, sondern auch schmackhaft, doch ich beschließe, diesmal kein Risiko einzugehen, und esse mit den Fingern. Wem schon einmal, unter aller Augen, ein einzelnes Kamikazesushi den Eßstäbchen entglitten ist, nur um sich in das Schälchen mit Sojasoße zu stürzen, weiß warum. Als später die Überreste abgeräumt werden, bleibt ein angenehm leichtes Sättigungsgefühl zurück. Trotzdem dränge ich zum Aufbruch, denn ich bekomme von Meerrettich regelmäßig Blähungen und damit würde ich mich gerne erst auf dem heimischen Sofa auseinandersetzen. Nico
Sushi and Soul, Klenzestraße 71, 80469 München

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